Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.
Die heutge Kolumne ist von David J. Becher:
Logbucheintrag 0.17
Armut bekämpfen. Eine Parole, auf die sich vom alternativen Plenum bis zur konservativen Sonntagsrede fast alle Gesellschaftsschichten schnell einigen. Weil dabei aber wohl alle etwas anderes meinen und 3.000 Zeichen nicht ausreichen, das sorgfältig zu sortieren, schnappe ich mir nur einen Teilaspekt dazu in der Stadt- und Quartiersentwicklung.
Auch da taucht Armut als Thema auf. Und auch hier würden viele die genannte Parole unterschreiben. Was leider viel zu oft tatsächlich passiert, ist, dass nicht Armut, sondern eher Arme bekämpft werden. Mal offensiv durch deutliche Preissteigerungen bei saniertem Wohnraum, meist aber schleichend durch ein Verhalten, das Armut so beständig macht, selbst in einer der reichsten Gesellschaften der Welt: Ignoranz.
Ich bin sehr privilegiert. Ich hatte bis heute stets genug Zeit, Geld und Gelegenheiten für ein gutes Leben. Von familiärer Unterstützung und strukturellen Vorteilen durch Hautfarbe und Geschlecht hab ich da noch gar nicht geredet. Aber was ist mit meinen Nachbar:innen? Und wenn ich mir schon anmaße, über Beteiligung und Stadtentwicklung zu diskutieren – wie kann und muss ich die Bedarfe derer beachten, die aus struktureller Benachteiligung schlicht nicht die Gelegenheiten haben, überall mitzureden?
Diese Frage wurde mir beim Stadtentwicklungssalon zur Gold-Zack-Fabrik sehr präsent: Wir sprachen in einer Workshop-Runde angeregt über den Platz zwischen Gebäude und Wiesenstraße: Eine fast ausschließlich als Parkplatz genutzte Fläche ohne ansprechendes Entrée und mit vielen dunklen, verwucherten Ecken. Von uns rasch als ‚wenig einladend‘, ‚düster‘ oder ’schmuddelig‘ wahrgenommen. Mit der guten Lösung, dass bei Weiterentwicklung der Immobilie hier eine Öffnung mit viel einladenderem Charakter erreicht werden könnte. Viel einladender. Aber für wen eigentlich?
Wenn ich weder Geld hätte für übliche Freizeitaktivitäten, noch für Klamotten, die ich wirklich mag, wenn ich zudem keinen Wohnraum hätte, der mir ein angenehmes Zuhause bietet und mich ständig latent von der Gesellschaft abgelehnt fühle. Würde ich dann klassisch repräsentative Orte als wirklich einladend empfinden? Wären die ganzen freundlich und ansprechend hergerichteten Begegnungsorte tatsächlich auch freundlich zu mir? Damit möchte ich nicht behaupten, dass benachteiligte Menschen Schmuddelecken wollen, ganz im Gegenteil! Aber wenn wir aus privilegierten Impulsen offene Räume gestalten, dann werden sie möglicherweise nur auf uns Privilegierte offen wirken.
Und wenn wir in unseren Quartieren immer mehr Räume so verändern, dass wir zunehmend weniger Menschen wahrnehmen, die von Armut betroffen sind – spätestens dann müssen wir dreimal so genau hinsehen, was wir mit der Gestaltung eigentlich bekämpft haben. In zu vielen Fällen ist es nicht die Armut.
Erstveröffentlicht am 18.11.2021 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/wuppertal-wen-laden-einladende-plaetze-eigentlich-ein_aid-64161923