Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.
Die heutige Kolumne ist von Amanda Steinborn:
Logbucheintrag 0.20
Was wäre der Start ins neue Jahr ohne gute Vorsätze? Mehr Sport, gesünder essen, mal Urlaub machen oder Anderen Gutes tun. Die Liste ist lang und meistens flüchtig.
Gute Vorsätze eigenen sich hervorragend dafür, das soziale Gewissen zu stärken. Oft landen sie auf To-Do Listen, die immer länger werden, und bei denen klammheimlich irgendwann ein paar Punkte hinten runter fallen. Hier sorgt das leider schon mal dafür, dass ein Fahrrad trotz bester Vorsätze unverliehen oder eine Mail unbeantwortet bleibt.
Welchen Sinn haben sie also, die guten Vorsätze? Warum nicht einfach frei machen davon?
Ich nehme mir grundsätzlich zu viel vor. Meistens geht es dabei nicht darum, etwas für mich zu tun, sondern hier noch ein Projekt zu machen oder dort noch Hilfe anzubieten. Oft merke ich zu spät, dass der Tag nur 24 Stunden hat und ich nicht alle aufgebauten Erwartungen erfüllen kann. Trotzdem ist es mir wichtig, weiterhin den guten Vorsatz zu behalten, mich nicht nur für mich, sondern auch für Andere zu engagieren. Das sogenannte Ehrenamt begleitet schon so lange mein Leben, dass es mir nicht nur in den Blutkreislauf übergegangen ist, sondern ich mich auch schon früh entschieden habe, es strukturell in meinen Alltag einzubauen. So kam für mich beispielsweise nie in Frage, eine Festanstellung in Vollzeit anzunehmen, damit mir Raum für Engagement bleibt – bezahlt oder unbezahlt.
Meine Motivation dahinter ist intrinsisch. Ich habe das tief verankerte Gefühl, der Gesellschaft etwas geben und einen aktiven Beitrag zum Gemeinwohl leisten zu wollen, ohne dass dies für mich zu einem direkten Vorteil führt. Diese Einstellung muss mensch sich leisten können: Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass unser System sie mir zum einem ermöglicht und zum anderen ausnutzt, indem große Teile der Gesellschaft ohne Ehrenamt vollkommen zusammenbrechen würden. Mein guten Vorsätze führen mich also in das Paradox, gebraucht und ausgenutzt zu werden. Trotzdem ist es meine freie Entscheidung, mich einzubringen und zu engagieren.
In einer auf Basis von Lohnarbeit durchgetakteten Welt entsteht dabei oft auch im Ehrenamt der Druck von außen, alles zeitnah und komplett zu erledigen.
Um meine guten Vorsätze in die Tat umsetzen, ist Motivation der Motor, der mich antreibt. Doch Motivation braucht Zeit, sie hat ihren eigenen Rhythmus. Zu viel Takt nimmt ihr die Luft. Ehrenamt funktioniert nach anderen Regeln, weil es eben nicht nur um die Erledigung von Aufgaben, sondern um ein Gefühl von Verbundenheit oder Gemeinschaft, die Steigerung des Selbstwertes oder andere innere Bedürfnisse geht. Natürlich kann die Motivation durch äußere Gegebenheiten gefördert werden. Der eigentliche Antrieb kommt jedoch von innen. Dabei hält sich der eigene Rhythmus nicht immer an den Takt, den die Welt nach außen vorgibt.
So ist es richtig, dass Ehrenamt eben auch mal länger dauert – oder nicht alle Räder gewartet und im Verleih sind. Aber im Frühjahr sind sie wieder auf der Straße. Das ist zumindest unser fester Vorsatz.
Erstveröffentlicht am 13.01.2022 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/gute-vorsaetze-fuer-das-neue-jahr-oder-wenn-es-mal-wieder-laenger-dauert_aid-65258235