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Logbuch

Machs besser

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von David J. Becher:

Logbuch 0.65

Letzten Sonntag war Tag der offenen Tür in Utopiastadt. An dessen Ende stand eine Podiumsdiskussion über Utopiastadt als Ort der Demokratiegeschichte. Dabei betonten sowohl Wolfgang Heinrichs, Vorsitzender des Bergischen Geschichtsvereins als Mitveranstalter, der gestand, erstmalig in Utopiastadt zu sein, als auch der Oberbürgermeister, der zwar schon oft, aber auch schon lange nicht mehr in hier war, wie auffallend freundlich, zugewandt und von gegenseitiger Wertschätzung geprägt die Atmosphäre sei. Das fiel mir auch deshalb besonders laut in die Ohren, weil dieses Empfinden im oft angespannten, komplizierten und von großen Herausforderungen geprägten Alltagsgeschäft viel zu schnell verloren geht. Aber zum Glück lebt der Geist der ernstgemeinten Gegenseitigkeit auch in schwierigen Zeiten offenbar erlebbar in Utopiastadt. Das hat mich erleichtert!

Ich durfte mit auf dem Podium sitzen, und hatte somit gleich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen das Privileg, Demokratie zu diskutieren. Denn nachdem ich vor einiger Zeit an dieser Stelle über meine Wahrnehmung von Ehrenamt als wichtige Demokratie-Übung geschrieben habe, war ich Montag als Gast in die Politische Runde der VHS eingeladen, die anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus über ›Demokratie im Stresstest‹ sprach. Dabei sagte die Demokratieforscherin Prof. Dr. Susanne Pickel den schönen Satz »Demokratie ist etwas wunderbares, wenn die Akteure Demokraten sind.«. Und auf dem Sonntags-Podium äußerte die Transformationsforscherin Jun. Prof. Dr. Karoline Augenstein, dass es in experimentellen Aushandlungsprozessen besser sei, wenn man nicht davon ausginge, dass die oder der Andere vermutlich etwas Böses wolle. In der Reflexion darüber fand ich mich beim Griff an die eigene Nase wieder: Wie formuliere ich eigentlich meine Politik(er:innen)-Kritik? Sicherlich finden sich die meisten meiner sozialpolitischen Ansprüche weder im Koalitionspapier noch im politischen Personal der neuen Bundesregierung wieder. Und bestimmt ist in einigen Punkten auch Fundamentalkritik geboten. Aber auch unter der reaktionärsten Führung bleibt Demokratie eine Mitmachveranstaltung. Von der Kommune bis Europa. Und egal, ob der Oberbürgermeister Jung, Mucke oder Schneidewind hieß, ob er ein CDU-, ein SPD oder ein Grünen-Parteibuch hatte – in Utopiastadt haben wir immer konstruktiv Prozesse von Stadt- und Gesellschaftsentwicklung verhandelt, haben rumprobiert, gestritten, versucht, verworfen, neu gegriffen – und nie aufgegeben, das Gute für alle zu wollen. 

Auch mich besorgt, dass eine gesichert rechtsextremistische Partei die zweitgrößte Fraktion im Bundestag stellt. Doch um so wichtiger ist, mit Demokrat:innen eben das zu stärken, zu feiern, zu bauen und weiterzuentwickeln, was unsere Gesellschaft für gutes Zusammenleben braucht: Demokratie. Und darin das zu pflegen, was sie schön macht: Gemeinwohl. Und das geht am besten in ehrlich freundlicher Gegenseitigkeit. Zum Beispiel in Utopiastadt. Machste mit?


Erstveröffentlicht am 08.05.25 in der Printausgabe der WZ.

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Logbuch

Wir wählen die Vielfalt

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von Christoph Haberer und David J. Becher:

Logbucheintrag 0.62

Wir wählen die Vielfalt!
Das steht in großen Buchstaben seit September auf einem unserer Container in Utopiastadt. Das Graffiti ist bunt, voller Farben und mit vielen Nuancen. So bunt, so vielfältig, vielstimmig und vielmeinig ist auch unsere Vision einer glücklichen Gesellschaft. Eine Vielstimmigkeit, die selbstverständlich nicht immer einig sein muss: Auch wir suchen ständig nach einem gemeinsamen Boden, auf dem wir dann ganz Unterschiedliches aufbauen können. Ein solcher gemeinsamer Boden ist zum Beispiel der Wunsch nach Gemeinwohl. Gutes Leben für mehr als nur mich und mein Umfeld. Gutes Leben für viele – nein, wir hätten nicht die Utopie im Namen, wenn wir nicht größer dächten: Wir wollen gutes Leben für alle! Und deswegen wollen wir Vielfalt gemeinsam und aktiv gestalten. Dazu haben wir mit Utopiastadt ein großes Übungsfeld gebaut: Welche Räume funktionieren für welche Menschen, wer fühlt sich wo angezogen oder ausgeschlossen, wer kann seine Fähigkeiten, Ideen und Vorhaben selber einbringen, wer braucht Unterstützung, wer bringt was mit? Fragen, die wir nie ganz beantworten können, aber immer auf’s Neue besprechen.

Natürlich kann Vielfalt anstrengend sein. Sie fordert Offenheit für Neues, Unbekanntes, vielleicht sogar Unangenehmes. Und sie packt uns an einer empfindlichen Stelle: Sie fordert ehrliche Selbstreflexion über die eigenen Wünsche ebenso wie die mitunter kritische Beschäftigung mit den Informationen, die tagtäglich auf uns einprasseln, dem, was wir als „normal“ ansehen oder Gewohnheiten, die wir nie hinterfragt haben. Und manchmal auch die Beschäftigung mit Problemen, die wir nicht gleich verstehen, die uns zu groß, zu fremd, zu abstrakt sind.

Wir erleben, dass rechtsradikale Politiker:innen in unseren Parlamenten sitzen. Wir erleben, wie sie mit ihrer Agenda gegen alles Fremde und ihren vermeintlich einfachen Lösungen erfolgreich politische Debatten dominieren. Wir erleben, wie rechte Regierungen in anderen Staaten aktiv gegen Vielfalt und Demokratie vorgehen. Und wir erleben derzeit einen Wahlkampf, der – getrieben von Rechtsextremen – fast nur ein Thema kennt. Doch in einer lebendigen Demokratie muss eine größere Vielfalt an Themen und Ideen diskutiert, verhandelt, ausprobiert und gelebt werden. Das kostet Kraft. Kraft, von der wir überzeugt sind, dass wir als Gesellschaft genug davon haben.

Es gibt kein gutes Leben für alle, wenn wir manche ausgrenzen. Vielfalt schadet nicht, sie bringt niemandem einen persönlichen Nachteil. Aber die Verwehrung von Vielfalt schränkt die Freiheit ein. Wir aber wollen die Freiheit! Wir wollen ein gutes Leben für alle! 

Dafür arbeiten und kämpfen wir hier an jedem einzelnen Tag. Wir arbeiten an unseren Strukturen, unserer Stadt und unserer Vision –  mal mit der Schaufel, mal auf der Bühne, mal in Gesprächen – und am 23. Februar natürlich mit unserer Stimme.

Und wir laden Euch von Herzen ein: macht mit, wählt – und wählt mit uns die Vielfalt!


Erstveröffentlicht am 13.02.25 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/wuppertaler-utopiastadt-wir-waehlen-die-vielfalt_aid-124130847


Schaffe mit uns Platz für Vielfalt und unterstütze den Utopiastadt Campus mit einer Spende: https://www.wirwunder.de/project/37249

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Neuigkeiten

Sa. 8.2. | Lautstark für Vielfalt

Demonstration für Demokratie & Menschenwürde

Am Samstag ist wieder extra lange Workout-Pause, damit alle, die auch auf der Straße deutlich machen wollen, dass ihnen die Verteidigung der Demokratie gegen rechtsradikale Fremdenfeindlichkeit wichtig ist, dies auch tun und um

13 Uhr zum Schauspielhaus / Pina-Bausch-Zentrum

an die Kluse gehen können.

Wer nicht mit leeren Händen dort hin gehen will: Am Donnerstag, 6.2. treffen wir uns um 19 Uhr in der Gemeinschaftswerkstatt im Nebengebäude des Mirker Bahnhofs, um gemeinsam Transparente zu basteln.

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Logbuch

Ehrenamt und Demokratie

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von David J. Becher:

LOGBUCHEINTRAG 0.46

Es grünt so grün, wenn Wodebuen! Wenn was? Na, Wodebuen! Die Woche des bürgerschaftlichen Engagements. Das Zentrum für gute Taten ruft, und ganz Wuppertal präsentiert an allen Ecken und Enden, wo es Engagement gibt und wo man sich engagieren kann. Gleichzeitig lese ich täglich auf Twitter (oder halt jetzt ‚X‘), dass die Gesellschaft auseinander driftet, niemand mehr das sagen oder machen darf, was sie oder er will und das überhaupt die Demokratie mindestens kaputt, vielleicht sogar am Ende sei. 

Ich sehe da einen Zusammenhang: Wenn ich zur Utopiastadt rüber gehe, treffe ich dort stets auf Leute, die sehr anders drauf sind, als ich. Die sehr anders mit Dingen umgehen, als ich. Die teilweise sehr andere Meinungen haben – und mit denen ich vermutlich außerhalb von Utopiastadt kaum mehr als ein höfliches »Guten Tag« gewechselt hätte. Und weil wir hier in der Kolumne ja unter uns sind, gehe ich noch einen Schritt weiter und verrate Euch (bitte sagt’s nicht weiter!): Da sind gelegentlich sogar Menschen bei, die ich irgendwie doof finde und deren Meinung ich für, gelinde gesagt, höchst zweifelhaft halte. Wenn ich solchen Meinungen auf Twitter begegne, bin ich schnell auf Widerstand gebürstet.

Aber hier, hier vor Ort, treffen wir uns ja nicht nur von Angesicht zu Angesicht, hier treffen wir uns vor allem bei Tätigkeiten, die der Allgemeinheit zu Gute kommen. Wir sanieren Räume für alle, wir besorgen Flächen für alle, wir organisieren Reparaturcafés oder Quartierskonferenzen für alle – und ganz neu gibt es im Hutmacher einen Bücherschrank für alle. Immer stecken da verschiedene Menschen, manchmal auch nur Einzelne dahinter, die sich mit Engagement, Herzblut und ziemlicher Vehemenz dafür einsetzen, dass das Quartier für alle etwas besser wird. Also finde ich jede und jeden von denen erstmal gut, nett, richtig und wichtig. Selbst, wenn sie Sachen sagen, die ich für verkehrt halte. Oder eine vollkommen andere Meinung vertreten, als ich. Auf Twitter würde ich nur diese Meinung lesen. Im gemeinsamen Engagement kriege ich ihre Haltung mit. Und sie meine. Eine viel bessere Grundlage, um dann über Meinungen zu diskutieren, meinetwegen auch zu streiten. Schließlich gehört zur lebendigen Demokratie auch der Streit über verschiedene Meinungen. Aber um das vernünftig zu üben, müssen wir Orte haben, an denen wir uns außerhalb unserer Freundeskreise und Schrebergärten und Stammtische begegnen können. Und zwar aktiv begegnen: Mit Tat und mit gegenseitigem Rat. Indem wir zum Beispiel Fenster sanieren und uns jemand sagt, wie das geht. Oder Fahrräder verleihen und dabei mit Hinz und Kunz ins Gespräch kommen. Oder beim Reparieren einer Hose im Nähtreff über die FDP diskutieren. Denn ich bin feste davon überzeugt: Wenn wir die Demokratie sichern wollen, dann geht das am Besten an Orten, wo wir privat sehr anderen Menschen begegnen. Und dabei irgendetwas produktives tun. Kurz: Die Demokratie retten wir am besten beim gemeinsamen Unkraut jäten. Utopiastadt ist ein Ort dafür.


Erstveröffentlicht am 14.09.2023 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/logbucheintrag-046-ueber-ganz-unterschiedliche-menschen-die-in-der-utopiastadt-aufeinandertreffen_aid-97651231