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Logbuch

Erst träumen, dann machen!

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutge Kolumne ist von Lea Schöning:

Logbucheintrag 0.18

Wenn Beteiligungsformate für die Entwicklung einer Fläche von Kommunen organisiert werden, geschieht dies oftmals unter festen Maßgaben und engen Rahmenbedingungen. Vom Baurecht bis hin zum Brandschutz – bevor es überhaupt mit dem Nachdenken über die Gestaltung eines neuen Raumes losgeht, befindet man sich in einem Dschungel aus Regularien, Machbarkeitsstudien und Paragraphen. Viel zu häufig ist der Zielhorizont bereits abgesteckt und jede kreative Spinnerei, jede fantastische Vorstellung wird in nullkommanix zu Nichte gemacht. Zack – Die Realitätsfalle schnappt zu!

Sich aus Sachverhalten und Realitätsfragen zu befreien ist manchmal gar nicht so leicht. Doch sollten wir uns hiervon so einfach entmutigen lassen? Als unser Projektteam sich diesen Sommer an die Aufgabe wagte, einen Entwicklungsprozess zur Zukunft der Speditionshalle auf dem Utopiastadt Campus anzustoßen, standen wir vor eben dieser Herausforderung: Die Realität – ein großer Wellblechkasten ohne Fenster – schien zunächst weniger einladend für wilde Visionen und neue Utopien. Doch ein Blick hinter die Fassade regte die Wunschproduktion schnell an: 3500qm Fläche für kreative Manufakturen, handwerkliche Bildung und Gemeinschaft? Eine Pilzfarm, ein große Schaukel oder eine Rollschuhdisco?

Ich glaube, dass es wichtig ist die Phase des Träumens und Wünschens bei der Flächenentwicklung nicht zu übergehen. Indem wir ein Bild von einer wünschenswerten Zukunft entwerfen, erkennen wir, wo es im hier & heute hakt und was wir tun müssen, um unserer Wunschvorstellung näherzukommen. Ob es sich bei dieser Vorstellung um eine reine Utopie handelt, spielt dabei keine Rolle. Denn Visionen, Träume und Emotionen bilden die Basis und die Motivation für unser Handeln. Sie sind der Beginn jeder neuen Entwicklung. Sie sind unser Wegweiser, helfen mit Herausforderungen umzugehen und bilden die Blaupause für den nächsten Schritt in die Stadt der Zukunft.

Für unsere Träume brauchen wir Raum zum Experimentieren und Orte, an dem ein Diskurs eröffnet wird, wie wir miteinander leben wollen. Und wenn Neues entstehen soll, braucht es Raum für Ungeplantes. Solche Räume sind in unseren Städten rar geworden. Doch Utopiastadt ist einer davon: hier gibt es viel Raum – zum Beispiel eine 3500qm große Halle, die darauf wartet mit Visionen und Leben gefüllt zu werden. Im Rahmen eines Ideenwettbewerbs toben sich deshalb bis zum Jahresende fast 30 Teams mit ihrer geballten Kreativität an der Halle aus. Doch gibt es sicher weitere Träume zur Entwicklung der Halle.

Du hast Lust mitzuträumen?
Wir laden dich ein, deine Ideen und Wünsche für die Nutzung der großen Halle bis zum 12. Dezember mit uns zu teilen! Postkarten und ein blauer Ideenbriefkasten finden sich dafür vor dem Hutmacher am Bahnsteig. Ideen können ebenfalls online abgeschickt werden unter www.neue-urbane-produktion.de/ideenwettbewerb/ideenbriefkasten.

Luftaufnahme der Speditionshalle auf dem Utopiastadt-Campus neben der Nordbahntrasse am Bahnhof Mirke.
Foto: Thorben Kraft

Erstveröffentlicht am 02.12.2021 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/erst-traeumen-dann-machen_aid-64391975

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Logbuch

Wen laden einladende Plätze eigentlich ein?

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutge Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.17

Armut bekämpfen. Eine Parole, auf die sich vom alternativen Plenum bis zur konservativen Sonntagsrede fast alle Gesellschaftsschichten schnell einigen. Weil dabei aber wohl alle etwas anderes meinen und 3.000 Zeichen nicht ausreichen, das sorgfältig zu sortieren, schnappe ich mir nur einen Teilaspekt dazu in der Stadt- und Quartiersentwicklung.

Auch da taucht Armut als Thema auf. Und auch hier würden viele die genannte Parole unterschreiben. Was leider viel zu oft tatsächlich passiert, ist, dass nicht Armut, sondern eher Arme bekämpft werden. Mal offensiv durch deutliche Preissteigerungen bei saniertem Wohnraum, meist aber schleichend durch ein Verhalten, das Armut so beständig macht, selbst in einer der reichsten Gesellschaften der Welt: Ignoranz.

Ich bin sehr privilegiert. Ich hatte bis heute stets genug Zeit, Geld und Gelegenheiten für ein gutes Leben. Von familiärer Unterstützung und strukturellen Vorteilen durch Hautfarbe und Geschlecht hab ich da noch gar nicht geredet. Aber was ist mit meinen Nachbar:innen? Und wenn ich mir schon anmaße, über Beteiligung und Stadtentwicklung zu diskutieren – wie kann und muss ich die Bedarfe derer beachten, die aus struktureller Benachteiligung schlicht nicht die Gelegenheiten haben, überall mitzureden?

Diese Frage wurde mir beim Stadtentwicklungssalon zur Gold-Zack-Fabrik sehr präsent: Wir sprachen in einer Workshop-Runde angeregt über den Platz zwischen Gebäude und Wiesenstraße: Eine fast ausschließlich als Parkplatz genutzte Fläche ohne ansprechendes Entrée und mit vielen dunklen, verwucherten Ecken. Von uns rasch als ‚wenig einladend‘, ‚düster‘ oder ’schmuddelig‘ wahrgenommen. Mit der guten Lösung, dass bei Weiterentwicklung der Immobilie hier eine Öffnung mit viel einladenderem Charakter erreicht werden könnte. Viel einladender. Aber für wen eigentlich?

Wenn ich weder Geld hätte für übliche Freizeitaktivitäten, noch für Klamotten, die ich wirklich mag, wenn ich zudem keinen Wohnraum hätte, der mir ein angenehmes Zuhause bietet und mich ständig latent von der Gesellschaft abgelehnt fühle. Würde ich dann klassisch repräsentative Orte als wirklich einladend empfinden? Wären die ganzen freundlich und ansprechend hergerichteten Begegnungsorte tatsächlich auch freundlich zu mir? Damit möchte ich nicht behaupten, dass benachteiligte Menschen Schmuddelecken wollen, ganz im Gegenteil! Aber wenn wir aus privilegierten Impulsen offene Räume gestalten, dann werden sie möglicherweise nur auf uns Privilegierte offen wirken.

Und wenn wir in unseren Quartieren immer mehr Räume so verändern, dass wir zunehmend weniger Menschen wahrnehmen, die von Armut betroffen sind – spätestens dann müssen wir dreimal so genau hinsehen, was wir mit der Gestaltung eigentlich bekämpft haben. In zu vielen Fällen ist es nicht die Armut.


Erstveröffentlicht am 18.11.2021 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/wuppertal-wen-laden-einladende-plaetze-eigentlich-ein_aid-64161923

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Logbuch

Über die Pandemie, 2G und Solidarität

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutge Kolumne ist von Lana Horsthemke:

Logbucheintrag 0.16

Nach über 1,5 Jahren Covid-19 ringen wir auch in Utopiastadt immer wieder um den richtigen Umgang mit der Pandemie. Wie gehen wir mit den G-Regeln um? Wie erhalten wir barrierearmen – und sicheren – Zugang zu Utopiastadt, zu Kulturveranstaltungen und Gastronomie?

Für Gastronomie und Veranstaltungsorte hat die Stadt Wuppertal Ende September eine klare Empfehlung ausgesprochen, nur noch geimpften oder genesenen Personen Einlass zu gewähren und die 2G-Regel für einige städtische Veranstaltungen und Gebäude selbst eingeführt. Wir haben uns in Utopiastadt, wie viele andere, gegen 2G entschieden. Nicht aus ökonomischen Gründen, sondern weil wir ungeimpfte Menschen nicht ausgrenzen wollen. Unter Abwägung des Möglichen war 3G dabei der Weg, der am wenigsten Ausschluss zur Folge hatte – nur ist auch 3G ein Kompromiss. Die Tests sind nicht mehr kostenfrei und viele können sie sich einfach nicht regelmäßig leisten – und selbst wenn, dann bleibt für sie das gesundheitliche Risiko, weil sich alle anderen kaum noch testen und auch geimpfte infektiös sein können. Eine 1G-Regel (getestete) würde alle gleichermaßen schützen – nur ist das finanziell einfach nicht zu stemmen. Im Ergebnis schließt auch 3G Menschen aus.

Ich kenne selbst Menschen, die sich aus Unsicherheit, Angst oder anderen persönlichen Gründen nicht – oder noch nicht – haben impfen lassen, und mir fehlt zu dem Thema eine breite Debatte. Was passiert, wenn meine ungeimpfte Freundin weniger unter Menschen geht, weil sie sich die Tests nicht oft leisten kann und dann noch misstrauisch beäugt wird, wenn sie ihr Testergebnis zeigt? Wer geimpft ist, ist zwar nicht von Ausschluss betroffen. Aber ist sozialer Druck wirklich der Weg, den wir gehen wollen, um Menschen zum Impfen zu bewegen? Müssten wir nicht in der Lage sein, einen anderen Weg zu finden, als Ausschluss?
Wir müssen uns damit beschäftigen, was das mit uns macht. Politisch, und auch persönlich. Was fühlen und denken wir, wenn uns jemand sagt, dass er geimpft oder nicht geimpft ist? Wir müssen im Gespräch bleiben und unbedingt versuchen, einen differenzierteren Blick auf ungeimpfte (und geimpfte) Menschen zu bekommen, als uns darüber in Kategorien von »solidarisch« und »unsolidarisch« einzuteilen. Und ich glaube, wenn wir ins Gespräch gehen, wird klar, dass die eigentliche Frage ist: Wie solidarisch wollen wir sein?

Ich bin froh, dass sich viele Gastronom:innen gegen die strengere Regel entschieden haben – trotzdem bleiben die ausgrenzenden Komponenten, von denen nicht Geimpfte oder Genesene betroffen sind. Der Umgang damit wird momentan weitestgehend der Gesellschaft überlassen – und damit Orten wie Utopiastadt. Und während wir im Büro einfach weiter Maske tragen und Kontaktverfolgung organisieren können, lässt sich das in der Gastronomie und bei Veranstaltungen nicht so einfach regeln. Auch, wenn das Thema uns allen schon lange aus den Ohren herauskommt: Wie wir damit umgehen, wird uns prägen – und das ist jede Debatte wert.


Erstveröffentlicht am 04.11.2021 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/logbucheintrag-016-ueber-die-pandemie-2g-und-solidaritaet_aid-63864369

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Logbuch

Voneinander miteinander Lernen

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Amanda Steinborn und Maximilian Schmies:

Logbucheintrag 0.15

Neulich hatten wir mal wieder einen Aha-Moment. Passiert uns übrigens öfter in Utopiastadt, dass wir etwas lernen.

Und das ist auch gut so: Denn der Weg in ein gemeinsames Utopia führt schließlich ins absolute Neuland. Und so tasten wir uns Schritt für Schritt voran. Zum Beispiel, wenn Benny und Ralf am Büchertresen über freie Software fachsimpeln und es bei mir ‚klick‘ macht. Oder wenn Canan und Lukas dir in der Werkstatt zeigen, wie man historische Fenster denkmalgerecht saniert. Oder wenn Katrin und Ilka im Fadenwerk aus alten Stoffresten einen schicken Turnbeutel zaubern. Und weil das bei uns so selbstverständlich ist, dass wir ständig bereit sind, mit- und voneinander zu lernen, merkt man kaum, wie man selbst über Nacht zur Expert:in heranreift. So wie die beiden Fensterfans, die vor einem guten Jahr zum ersten Mal den Stechbeitel in der Hand hatten und mittlerweile Neulinge anleiten.

In den Bildungswissenschaften gibt es dafür Fachbegriffe: Informelles Lernen, soziales Lernen und ganzheitliches Lernen. Ersteres geschieht ständig; wenn wir uns unterhalten, etwas aufschnappen oder ausprobieren. Zweiteres findet statt, wenn wir uns gemeinsam mit anderen an etwas Neues wagen und Vorbilder uns zum Nachahmen inspirieren. Und Letzteres meint das Lernen mit allen Sinnen, also nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit den Händen und dem Herz. Alle, die schon einmal ein Fahrrad repariert haben, wissen: Die Bauanleitung ist nichts wert ohne die Erfahrungen, die man beim Schrauben macht. Und das Gefühl, den liebgewonnenen Drahtesel eigenhändig wieder flott zu machen, ist sowieso unersetzlich.

Wir sind der Überzeugung, dass der Wandel in eine ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Zukunft mehr braucht, als die Schulbank. Darum schaffen wir in Utopiastadt Freiräume zum Lernen und Experimentieren: etwa durch den Aufbau der Offenen Werkstatt und ein buntes Mitmach-Programm.

Selbstverständlich dreht sich dabei viel um’s Handwerken: Monatlich organisiert das Projekt ‚Neue Urbane Produktion‘ Workshops – nächste Woche zum 3D-Druck, im November werden Wurmkisten gezimmert. Eine komplette Weiterbildung im Bauhandwerk bietet das Projekt ‚DigIT_Campus‘ an. Nicht zu vergessen die Fahrrad- und Elektrorreparaturcafés, Nähtreffs, Gartenbuddeleien und das Sanierungs-Workout wo garantiert niemand ohne Aha-Effekt nach Hause geht.

Auch der Kopf kommt nicht zu kurz: in Impulsabenden oder Stadtentwicklungssalons suchen wir Antworten rund um Gemeinwohl und Nachhaltigkeit. Und mit der CoForschungsrunde und der co-kreativen Gründungsberatung ‚PlanHaben‘ gibt es sogar zwei feste monatliche Formate, wo Forscher:innen und Macher:innen zusammenkommen, um gemeinsam neue Wege zu beschreiten.

Bist du bereit, mit uns den nächsten Schritt zu gehen und über dein nächstes ‚Aha‘ zu stolpern? Aktuelle Gelegenheiten finden sich unter www.utopiastadt.eu, auf unseren SocialMedia-Kanälen – und natürlich am Büchertresen.


Erstveröffentlicht am 21.10.2021 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/logbucheintrag-015-voneinander-miteinander-lernen_aid-63621825

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Logbuch

Eintopf, Solidarität und die StVO

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.14

Am Tag der Deutschen Einheit spielen die Wuppertaler Sinfoniker traditionell ein Benefiz-Konzert. Letzten Sonntag für den Wuppertaler Solidarfonds für Kulturschaffende namens EinTopf.

Blick zurück: Schon bevor der erste Pandemie-Lockdown im März 2020 das Kunst- und Kulturgeschäft lahm legte, war uns in Utopiastadt bewusst: Hier kommen schwere Zeiten auf alle zu, die ihr Geld auf, an oder durch Bühnen verdienen. Andere empfanden ähnlich, und so trommelten wir früh eine große Runde Kulturschaffender in einer ersten Videokonferenz zusammen. Statt Ratlosigkeit machte sich Engagement breit, teilweise sicher auch Aktionismus – aber vor allem Solidarität. Denn so vielschichtig, unterschiedlich und oft auch widersprüchlich die Freie Szene in Wuppertal ist, so sehr war uns miteinander klar, dass es für alle schwierig wird. Und für einige bedrohlich. Also machten wir uns gemeinsam daran, neben dem lokalen Stream-Fenster https://stew.one einen Fonds für schnelle und unbürokratische Hilfe aufzusetzen. Das Freie Netz Werk Kultur stellte Konto und Website zur Verfügung, eine Liste zur Besetzung der ersten Jury-Runden war rasch gefüllt und das Kulturbüro war umgehend bereit, die Koordination der Jury-Sitzungen zu übernehmen.

Nun stellte sich die spannende Frage: Wer kann unter welchen Kriterien einen Antrag stellen? Im letzten Jahr habe ich vermutlich so viel über Solidarität geredet und nachgedacht, wie nie zuvor. Ich erinnere mich gut, wie zum Beispiel Ava Weis in einer Runde ein kurzes aber präzises und mich sehr überzeugendes Plädoyer hielt für eine grundsätzlich solidarische Haltung mit Offenheit, Anerkennung anderer Lebenswelten und einer Basis von Zuhören und Ernstnehmen. Andere meinten aber durchaus, dass Spenden aus beispielsweise einem Benefiz-Konzert doch schon solidarisch seien und Anträge ruhig deutlich normierten Bedingungen unterliegen sollten. Und mir wurde bewusst, dass wir nicht nur solidarisches Verhalten, sondern auch die Bedeutung des Begriffs immer wieder miteinander aushandeln müssen. Zumindest, wenn wir uns eine bessere Welt nicht gegenseitig verordnen, sondern sie gemeinsam entwickeln wollen.

Was zum Glück beim EinTopf nie geäußert wurde, ist die seltsame Behauptung, Solidarität sei keine Einbahnstraße. Eine Aussage, die ich schon immer irgendwie falsch fand. Und seit ich im letzten Jahr so viel darüber nachgedacht habe, weiß ich jetzt auch, warum: Wenn Solidarität überhaupt etwas in der Metapherabteilung der Straßenverkehrsordnung zu suchen hat, ist Solidarität vermutlich am ehesten ein Kreisverkehr: Irgendwo kommt was rein, irgendwo anders wieder raus. Überall, wo was rein kommen kann, kann auch wieder was raus kommen, und in der Regel ist es nicht sinnvoll, dort wieder raus zu fahren, wo man reingefahren ist. Ohne eine vollständige Umkreisung kommt man dort auch gar nicht wieder an. Denn so ein Kreisverkehr, so eine bedarfsgerechte Rundumverteilung, ist kein direktes Hin und Her – sondern eine Einbahnstraße.

Infos: https://eintopf-wuppertal.de


Erstveröffentlicht am 07.10.2021 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/eintopf-solidaritaet-und-die-strassenverkehrsordnung_aid-63376849

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Logbuch

Mit Zollstöcken zur Digitalisierung im Bauhandwerk?

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Miriam Venn:

Logbucheintrag 0.13

Zugegeben, meine Hände funktionieren besser an der Tastatur als an der Bohrmaschine. Aber mit Stichsäge und Kantenfräse läuft es dank meines Freundes, Zimmermann, schon ganz passabel. Nach 1,5 Jahren »DigIT_Campus – das Bauhandwerk der Zukunft« – und damit Halbzeit in unserem JOBSTARTER Plus-Projekt – kann ich sagen, dass mich modernes Bauen irgendwie gepackt hat. Durch die Digitalisierung im Bauhandwerk lassen sich Prozesse im Unternehmen optimieren und beschleunigen. Laserscanner oder Flugdrohne fürs digitale Aufmaß, Büro und Baustellen per App verbunden – smarte Lösungen sind da. Allein, welche kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) nutzen sie schon und haben auch noch die Kapazitäten, ihre Mitarbeitenden in diesen Bereichen fit zu machen?

Nicht so viele, obwohl es doch dabei hilft, dauerhaft konkurrenzfähig zu bleiben. Und, mal abgesehen davon, dass der Einsatz digitaler Lösungen letztlich Geld und Zeit spart, macht es Betriebe auch attraktiv für Nachwuchskräfte – und die werden ja händeringend gesucht. Dazu kommen die Potenziale für die Nachhaltigkeit, die die Digitalisierung des Bauhandwerks mit sich bringt – um noch schnell ein weiteres Fass aufzumachen …

Klar war, hier wollen wir was tun und KMUs aus der Region dabei unterstützen, ihre Aus- und Weiterbildung in diese Richtung anzupassen. Wir, das sind die Utopiastadt, die Bauingenieur:innen der Uni Wuppertal und die Neue Effizienz, beraten unter anderem durch Fachverbände und lokale Unternehmen.

Was dabei rausgekommen ist? Zwei kostenlose Zusatzqualifizierungsprogramme – eins für die KMUs und eins für die Azubis, die damit zu Botschafter:innen für Digitalisierung im Unternehmen werden können. KMUs haben die Möglichkeit, sich aus unterschiedlichsten Veranstaltungs- und Beratungsformaten die für sie spannendsten Angebote in den Themenbereichen Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Ausbildungsförderung herauszupicken. Der Einstieg ist jederzeit möglich. Für die Azubis bieten wir ein insgesamt 14-tägiges Schulungsprogramm an: Von Oktober 2021 bis Juni 2022 erleben die Azubis in gewerkeübergreifenden Teams, was im Bauhandwerk durch den Einsatz digitaler Werkzeuge alles möglich ist – in Theorie und vor allem Praxis!

Utopiastadt sollte eigentlich schon in der ersten Runde des Azubi-Programms inspirierender Lernort sein – und die Teams sollten auch live dort bauen. Corona zwang uns leider vor die Monitore, aber wir haben dennoch das Maximum rausgeholt.

So, aber was hat das jetzt alles mit Freibier und Zollstöcken zu tun? »Ihr müsst einfach Bierchen und Zollstöcke rausgeben, dann kommen die Leute auch«, hat mir mein Freund diese Woche noch gesagt, als ich kurz davor war, dieser Kolumne den Titel zu geben »Wie es sich anfühlt, wenn man was Cooles hat, das kaum einer will«. Denn eigentlich müssten wir längst Wartelisten haben statt freier Plätze. Vielleicht ändert diese Kolumne was daran … Sonst weiß ich ja, was zu tun ist. Prost!


Erstveröffentlicht am 23.09.2021 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/logbucheintrag-013-mit-zollstoecken-und-freibier-zur-digitalisierung-im-bauhandwerk_aid-62923893

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Logbuch Neuigkeiten

Des Hutmachers neue Hüte

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Phillip ‚Fluppe‘ Siewert:

Logbucheintrag 0.12

Im August 2020 bin ich zum Gastro-Team des Hutmachers gestoßen. Durch die Pandemie habe ich meinen vorherigen Gastro-Job verloren, weil die Clubs ja dicht machen mussten. Auf den Hutmacher bin ich durch einen Instagram-Post aufmerksam geworden.

Der Hutmacher ist die Kneipe in Utopiastadt. So was wie das Einfallstor für diesen komplexen Ort – auch, wenn man nicht weiß, was in Utopiastadt alles passiert, hier kann man hinkommen, die Leute vor Ort kennenlernen und vielleicht darüber einen Zugang finden. Was den Hutmacher ausmacht ist wahrscheinlich, dass hier viele unterschiedliche Leute arbeiten – die zum Teil auch woanders anecken, und die hier einfach erstmal machen und Teil einer offenen Gemeinschaft sein können. Das gilt ja in Utopiastadt für viele Aktivitäten.

Der beste Moment für mich war, als wir dieses Jahr endlich wieder die Außengastronomie aufmachen konnten. Wir haben eine Woche davor unglaublich viel Energie da reingesteckt, weil es ja auch kurzfristig war. Alle waren hier, haben ganz viel gekärchert, Tische entstaubt, Getränkekarten wieder rausgekramt. Und bei der ersten Schicht nach dem Lockdown waren wir alle total erschöpft, aber trotzdem total gut drauf und einfach froh, dass das wieder ging.

Was das Arbeiten im Hutmacher besonders macht, ist, dass Utopiastadt mehr ist, als nur ein Café. Hier passiert noch so viel anderes. Wir haben zum Beispiel im Winter, als die Kneipe dicht war, bei der Sanierung mit angepackt, Beton rausgerissen, Dinge im Gebäude zurückgebaut. Irgendwo kann man auch außerhalb des eigentlichen Jobs immer mit anpacken und dadurch ist jeder Tag in Utopiastadt anders.

Außerdem ist es an der Trasse ganz schön schwer, einen guten Kaffee zu bekommen! Der Kaffee im Hutmacher ist fair gehandelt und stammt inzwischen von der »Talbohne«, der Kaffeerösterei auf dem Utopiastadt-Campus, in nicht mal 200 Meter Entfernung zum Hut.

Das Beste und das Schlimmste am Hutmacher ist eigentlich ein und das Selbe – und das gilt vermutlich auch für Utopiastadt insgesamt, weil dort so viel auch ehrenamtlich gestemmt wird: Es passiert immer viel unerwartetes. Kein Tag gleicht dem anderen. Das ist das schönste, aber du bist nie vorbereitet, und das ist manchmal stressig.

Ich bleibe nach der Arbeit oft hier und verbringe meinen Feierabend, weil meine Freunde und Bekannten auch alle hier sind oder sich hier treffen. Und hier fast alle ein gutes Verhältnis miteinander haben, per Du sind, gemeinsam anstoßen und zusammensitzen. Es gibt insgesamt ein gutes Miteinander. Das macht es manchmal schwer, Arbeit und Freizeit zu trennen, viel schwieriger als bei anderen Arbeitgebern, bei denen nicht dieser ganze Ort drum herum ist, wo ständig was passiert. Ich bin aber gerne hier, es ist nicht aufgezwungen und ein schönes Ambiente. Und man kann sich immer von jemandem eine Pommes schnorren.

Wenn ich den Hutmacher knapp auf den Punkt bringen würde, würde ich sagen: Liebevolles Chaos – und richtig guter Kaffee.


Erstveröffentlicht am 09.09.2021 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/hutmacher-ein-ganz-besonderes-cafe-in-der-utopiastadt_aid-62635189

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Logbuch

Raum räumen

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.11

Der Stadtraum – unendliche Weiten …? April 2015 setzten wir erstmalig den Fuß auf die Flächen nördlich der Trasse. Wir öffneten Zäune – und damit Räume: Trassenfest, Mobilitästmesse, Umsonst-und-Draußen Musik und der Genuss von Freiraum im dicht besiedelten Quartier.

Dazu pachteten wir etwa 400 qm der Flächen von Aurelis für das Gemeinwohl und erreichten, dass sie über das erste Jahr hinaus geöffnet blieben. Wir verhandelten weitere Öffnungen. Wir diskutierten mit Investoren, ob es statt einfacher Privatisierung nicht angemessenere Nutzungen für das Quartier Mirke gibt. Und im großen »Utopiastadt-Campus-Flächenentwicklungsbeirat« verhandelten wir mit der Stadt und Aurelis über grundsätzliche Gemeinwohl-Perspektiven für die Gesamtfläche um den Mirker Bahnhof.

Außerdem bauten wir mit weiteren Unerschrockenen die Utopiastadt-Campus-Raumstation (USCRS): Mit Talradler, Fahrradstadt Wuppertal und den WSW installierten wir die Fienchen-Garage. Gleich daneben landeten die Radverleihcontainer. Der Aufbruch am Arrenberg e.V. errichtete mit seiner Farmbox einen Außenposten an der Mirke, Talbohne, EatAliens, Hutmacher-Bierwagen und der UtopiastadtGarten brachten weitere Versorgung. Und es kamen noch mehr Raumforschende: Mit der Expedition:Raumstation vom Zentrum für Transformationsforschung der Bergischen Uni wurde in zwei Containern unter wissenschaftlicher Beobachtung von Stickerei bis Jugendzentrum ausprobiert, was das Zeug hielt …

Experimentelle Stadtentwicklung, dafür steht der Utopiastadt-Campus. Gerade reisen alle Module der Raumstation in neue Räume, damit wir die Nordflächen mit der Uni für den Solar Decathlon Europe vorbereiten können. Bis im Juni dann die Ausstellung mit 18 Beispielbauten steht! Erneut wird geforscht, wie Stadt zukünftig aussehen kann. Und auch, wenn viele der Bauwerke im Hochsommer 2022 wieder verschwinden, geht die spannende Reise weiter – vielleicht entdecken wir ja gemeinsam Ideen zu Stadtentwicklung, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.


Erstveröffentlicht am 26.08.2021 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/von-oeffnungen-und-investoren-der-stadtraum-unendliche-weiten_aid-62378721

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Wir bauen um

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Lana Horsthemke:

Logbucheintrag 0.10

Das Jahr 2021 ist für uns in vielerlei Hinsicht ein besonderes Jahr. Unter anderem, weil Utopiastadt dieses Jahr zehn Jahre alt wird. Wir haben natürlich überlegt, wie wir das angemessen feiern können. Aber wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir im Zuge der Pandemie noch keine großen Veranstaltungen und Feiern machen wollen. In 2021 richten wir stattdessen den Blick nach innen und ziehen noch einmal kräftig an ein paar Baustellen!

Zwar wird schon seit Jahren auf den Flächen und an den Gebäuden gewerkelt: Bis zum Sommer 2022 sind viele der Arbeiten an unseren Gebäuden aber in der Hochphase und dann irgendwann in den letzten Zügen. Dazu gehört zum Beispiel, dass gerade das Dach des Mirker Bahnhofes erneuert wird, oder dass wir mit aller Kraft und Liebe engagierter Utopist:innen unter fachkundiger Aufsicht eines Tischlermeisters historische Fenster ausbauen, abschleifen, neu lackieren und wieder einbauen. Auch hinter der Fassade wird kräftig gewerkelt. Parallel werden im Nebengebäude, der Gepäckabfertigung, Böden für neue Gemeinschaftsräume und offene Werkstätten geschliffen, Wände verputzt und vieles mehr.

Bis in den nächsten Sommer wird also hauptsächlich saniert! Zusätzlich werden wir bis Ende September einen Großteil unsere Flächen für den Bauwettbewerb »Solar Decathlon Europe« frei machen. Ab Oktober werden die Flächen dafür an die Bergische Universität Wuppertal vermietet und durch diese für den Wettbewerb im Juni 2022 vorbereitet.
Parallel denken wir in die Zukunft: Was soll in der Halle gegenüber des Bahnhofs entstehen, wenn sie irgendwann nicht mehr vermietet ist? Was wünscht Ihr Euch? Seid gespannt auf den Ideenwettbewerb, den unser Projekt »Neue Urbane Produktion« hierzu noch in 2021 ausrufen wird. 

Im Mirker Bahnhof selbst entsteht durch die Sanierung viel Raum, der nach der Instandsetzung wieder genutzt werden kann. Neuer Raum für gemeinwohlorientierte Ideen, für die altbekannten Only Hut Konzerte, das Café Hutmacher und natürlich für Eure Utopien. Auch hier bauen wir konzeptionell »um« und »weiter«.

Wenn Ihr also in Utopiastadt seid, Utopist:innen in Warnwesten seht, die eifrig Dinge von A nach B schieben, Fenster tragen oder mal nichts zu sehen ist, dann wisst Ihr nun, was diese Menschen tun. Und bei all den Baustellen könnt Ihr helfen: Macht mit beim Ideenwettbewerb (Infos demnächst auf https://neue-urbane-produktion.de) oder kommt samstags zum Utopiastadt-Workout und lernt beim Mitmachen zum Beispiel, wie man fachgerecht historische Fenster aufarbeitet. Während wir gemeinsam überall um-, auf-, aus- und weiterbauen, ist der Hutmacher als Euer Anker in Utopiastadt weiter geöffnet – soweit Pandemie, Baustelleneinrichtung und Wetter es zu lassen sowohl drinnen als auch draußen.

Und wenn im nächsten Jahr Bahnhofsgebäude und Campusflächen in frischem Glanz erstrahlen, feiern wir nicht nur zusammen das 10-Jährige von Utopiastadt nach, sondern direkt auch noch den 140. Geburtstag des Mirker Bahnhofs!


Erstveröffentlicht am 12.08.2021 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/neues-aus-utopiastadt-wir-bauen-um_aid-62130411

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Logbuch

Die Hebebühne. Hilberts Hotel: Supagolf-Edition

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« alle 14 Tage eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Die heutige Kolumne ist von Hank Zerbolesch:

Logbucheintrag 0.9

In einem Kopf mit endlich viele Ideen können keine Supagolf-Bahnen mehr erdacht werden, wenn das kreative Kontingent erst einmal erschöpft ist. Im Kopf von DDQ Lessa und Supaknut allerdings liegen mehr Ideen, als Hilberts Hotel Zimmer hat, und das hat schon unendlich viele.

Als Supagolf-Entstehungs-Zaungast fühle ich mich dauerüberrannt von den Gehirnfürzen der beiden Supa-Initiatoren. So wie Tyler Durden vor Lous‘ Taverne über sich selbst, fallen die zwei mit ihrem Ideen-Pingpong über mein eher systematisch gepoltes Gehirn her. Und während die beiden auf ihren wackeligen Holzstühlen reden und trinken und denken und trinken und rauchen und trinken, stell ich mir immer wieder die Frage, was das wohl für eine Kirmes ist da hinter diesen drei Augen. Welche Farbe hat die Idee einer S-Bahn? Wie fühlt sich der Gedanke einer Merk-dir-den-Ball-Bahn an? Und wie sehen eigentlich die kleinen Umpalumpas aus, die all die Bilder zu einer finalen Veranstaltung zusammen knüppeln? Am Ende sitze ich dann meistens auf der Supacouch, schütte Bier in mich hinein, höre dem 77-jährigen Mick Jagger (»So alt schon?«) zu, wie er in seine Mundharmonika pustet und versuche dem Schwindel Herr zu werden und nicht mehr zu verstehen, sondern zu genießen. Spaß zu haben. Denn das ist, worum es bei Supagolf geht: Eine gute Zeit haben. Und das gilt allumfassend: Ausdenken, skizzieren, Material ankarren, Leute einspannen, Ideen umsetzen, scheitern, Ideen verwerfen, neu erdenken, neu umsetzen, aufbauen, durchführen, abbauen, all das ist Teil der Supazeit. Und immer sind da Menschen. Hangarounds, Prospects, Members. Alle mit Bier, alle mit Bock und alle mit dem unbedingten Willen, ihr Privileg einer guten Zeit mit denen zu teilen, die eben keinen Supaknut und keinen DDQ Lessa um sich haben. Mit denen, die die letzten eineinhalb Jahre nichts zu lachen hatten. Mit denen, die leer sind. Runtergebrannt.

An dieser Stelle sollte die Kolumne sowohl einen Bogen zur Hebebühne als auch einen zu Utopiastadt schlagen, schließlich steht da oben »Neues aus Utopiastadt«. Aber wie Mick Jagger schon sang: »You can’t always get what you want«. Du kannst zwar noch unendlich viele Gäste in Hilberts schon lange belegtes Hotel unterbringen, aber wenn Herr Helmholtz auf Zimmer 1408 besteht, bricht das Paradoxon in sich zusammen. Wobei das natürlich auch nur die halbe Wahrheit ist. Denn ohne all die Sympathisanten und Mitstreiter und Freunde aus Hebebühne und Utopiastadt würde Supagolf der Abspann fehlen. Die Ernte. Das große Finale. All die Menschen, die all die Bahnen vom Saal 9 in die alte Tankstelle schleifen und auf den Campus tragen. Die Rollrasen-Rankarrer. Die Begleitheft-Bestücker. Die Aufbau-Asis. Ohne sie würden dann eben doch nur zwei Verrückte auf Holzstühlen sitzen und mit Ideen jonglieren, während in meinem Kopf Mick Jagger eine Autotune-Version von »Gimme Shelter« anstimmt. Und das wäre eine Tragödie. Für mich, für Mick Jagger, und ganz besonders für all die Supagolf-Besucher.


Erstveröffentlicht am 29.07.2021 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/stadtteile/elberfeld/die-hebebuehne-supagolf-edition_aid-61837947