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Logbuch

Auf Wiedersehen, ihr Zwei

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von Pia Rodermond:

LOGBUCHEINTRAG 0.58

Lieber Julius, liebe Renee.

Nun ist die Zeit gekommen und euer Bundesfreiwilligendienst ist vorbei. Die Zeit mit euch verging wie im Flug, dennoch war sie voll mit unvergesslichen Erlebnissen. Wir haben nach dem Feierabend spontan Dinge unternommen, sind zum Beispiel in der Wupper schwimmen gegangen oder haben einfach zusammen auf dem Balkon Zeit verbracht. Dazu gab es Raucherpausen über den Dächern Wuppertals oder Feierabende, die wir bis zum nächsten Morgen haben ausklingen lassen.
Ihr habt es geschafft, aus manch so stressigen Tagen schönere zu machen. Ihr seid unersetzlich! Ich habe mich von Anfang an sehr wohl mit euch gefühlt und selbst, wenn wir mal Meinungsverschiedenheiten hatten, konnten wir Probleme zwischen uns immer mit aufrichtiger Akzeptanz und Toleranz aus der Welt schaffen.
So verschieden wir auch alle sind, bin ich so unglaublich dankbar, euch kennengelernt zu haben. Ihr habt mir beide auf verschiedene Arten die Möglichkeit gegeben, meinen Horizont zu erweitern.

Julius, du hast mir beigebracht, auch die andere Seite der Münze zu betrachten. Die Perspektive zu ändern und meine Vorurteile abzulegen. Deine Fähigkeit, komplexe Themen auf eine verständliche Weise zu erklären, hat mir oft neue Einsichten gegeben und mich zum Nachdenken angeregt. Renee, von dir habe ich gelernt, mich selbst zu reflektieren und mich in Selbstfürsorge zu üben. Dein Talent, selbst aus den herausforderndsten Situationen das Beste zu machen, hat uns stets inspiriert und motiviert.
Außerdem war es auch die aufrichtige Ehrlichkeit, die ich an euch beiden geschätzt habe. Aber auch davon ab konnte ich viel von euch lernen, was all die handwerklichen Dinge betraf. Ich bin mit euch über meine Komfortzone hinaus gegangen, bin mit euch mutiger und selbstbewusster geworden.
Wir haben gemeinsam zahlreiche Herausforderungen gemeistert, uns gegenseitig unterstützt und uns dabei immer als Team gefühlt. Eure hilfsbereite und zuvorkommende Art hat uns als Team zusammengeschweißt und unverkennbar gemacht.

Die vielen kleinen und großen Momente, die wir miteinander geteilt haben, werden mir immer in Erinnerung bleiben. Ob es nun das gemeinsame Lachen über unsere kleinen Missgeschicke war oder das intensive Gespräch über die Zukunft – all diese Erfahrungen haben uns einander näher gebracht und unsere Zeit unvergesslich gemacht.
Ich werde es sehr vermissen, mit euch zu lachen, zu weinen, ehrliche und tiefe Gespräche zu führen und vor allem Utopiastadt zu einem besseren Ort zu machen, als er eh schon ist. Die Zeit mit euch war unglaublich wertvoll und die Erinnerungen an unsere gemeinsamen Erlebnisse werden mich noch lange begleiten. Ihr habt großartiges geleistet!

Ich wünsche euch von ganzem Herzen nur das Beste für eure kommende Uni-Zeit und für alle die Abenteuer, die noch auf euch warten. Ihr verdient eine tolle, aufregende Zeit mit neuen Erlebnissen und Möglichkeiten, genau so, wie wir sie hatten.

Wir sehen uns bald wieder, danke für alles!
<3 Pia


Erstveröffentlicht am 12.09.2024 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/wuppertaler-utopiastadt-kolumne-auf-wiedersehen_aid-118868459


Unterstütze Utopiastadt durch eine Spende: https://www.betterplace.org/de/projects/120555

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Logbuch

Jung und voller Energie

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von Thomas Schmidt:

Logbucheintrag 0.57

Es geht ein weiterer Schub durch Utopiastadt – und diesmal ist er international. Seit Anfang August ist ein Workcamp mit 12 jungen Menschen oben am Mirker Bahnhof eingerichtet. Es wird gemeinsam gearbeitet und gegessen, geschlafen wird unten in der Stadt. Es ist eine bunte, eine lebendige Truppe und sie schafft weit mehr, als vier, fünf wichtige Projekte abzuschließen. Es ist eine Freude und ein Lächeln zu spüren, die der gesamten Utopiastadt guttun. Die Energie verstärkt den Schwung, der sich in den letzten Wochen eingestellt hat. Denn in diesem Sommer konnten nach der kompletten Dachsanierung wichtige Bereiche der Fassade fertiggestellt und an der Trassenseite das Gerüst abgebaut werden. Auch wenn bei der Sanierung noch viel zu tun ist, wird wieder sichtbarer, wohin die Reise des gesamten Veranstaltungszentrums geht. Es ist ein Ort der Vielfalt, der Begegnung und des gemeinsamen Austauschs. Für mich haben die jungen Menschen das noch einmal sehr deutlich gemacht. Deren Motive, aus Italien und Spanien, aus China und Mexiko, aus Frankreich und Portugal nach Wuppertal zu kommen, waren dabei geprägt von Gemeinschaft und von Altruismus. Wie passend. 

Sie wolle raus aus ihrer Komfortzone, etwas Neues entdecken und gemeinsam mit anderen etwas Erschaffen. So brachte es eine Teilnehmerin für mich sehr treffend auf den Punkt. »Es ist die beste Möglichkeit, sinnvoll etwas zu tun und was ich hier lerne, kann ich dann wieder anderen beibringen«, ergänzt ein anderer Teilnehmer, und man spürt, wie viel eigene Energie die Teilnehmenden in das Workcamp stecken. Einige haben sich bewusst für Utopiastadt entschieden, fanden die »Alternative Stadtplanung«, wie sie es nannten, und das ausgeprägte Bürgerengagement lobenswert. Europa ist putzmunter, immer das Gleiche ist nicht nur beim Frühstück fad und langweilig und sollte es Grenzen geben, so sind sie zum Überwinden da. Da stellt man fest, wie schön das Leben ist.

Durch das Workcamp ist mir mal wieder aufgefallen, wie gut Utopiastadt in die Stadt eingebunden ist und wie sehr sie geschätzt wird. So hatten die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste (ijgd) sich zum ersten Mal für Utopiastadt als Veranstaltungsort für so ein Projekt entschieden. Einen Teil der Kosten trägt dabei der Zangenhersteller Knipex aus Cronenberg. Ohne dessen Unterstützung hätte das Workcamp wohl nicht stattfinden können. Eines ist klar: Das internationale Workcamp hat jetzt schon Spuren hinterlassen und wenn die TeilnehmerInnen am nächsten Sonntag wieder abreisen, werden sie mit Selbstbewusstsein und vielleicht auch mit einem Lächeln an ihre Zeit hier zurückdenken. Mir haben sie gezeigt, wie einfach es doch ist, etwas zu bewegen. Mir haben sie deutlich gemacht, wie viel besser das Leben durch Vielfalt ist und wie viel Spaß tolle Menschen einem machen können. Mich haben sie motiviert, nach einem einwöchigem Workcamp im Ausland zu suchen. Die Welt ist groß!

Danke, dass ihr hier seid. Danke, dass ihr so seid wie ihr seid. Danke, dass so viel von euch in Utopiastadt bleiben wird.


Erstveröffentlicht am 15.8.2024 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/utopiastadt-kolumne-danke-dass-ihr-hier-seid_aid-117841475


Unterstütze Aktionen wie ein solches internationales Workcamp in Utopiastadt durch eine Spende: https://www.betterplace.org/de/projects/120555

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Logbuch

Gut gerüstet

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.56

Da ist wieder ein Bahnhof an der Mirke! Naja, eigentlich war er, frei nach Westernhagen, nie wirklich weg, hat sich nur versteckt. Aber jetzt ist ein gutes Stück Gerüst abgebaut, und wenn man sich mit Spazier- oder Radfahrfreund:innen an der Trasse verabreden will, kann man auch Ortsunkundigen gegenüber wieder einfach »Wir treffen uns da am Bahnhof« sagen, ohne umständlich irgendwas mit Gerüst und schwarzer Schutzverkleidung zu ergänzen.

Solche Dinge machen was mit Orten. Ich kann mich noch gut an einen Tag vor gut zehn Jahren erinnern, als ich um den Bahnhof herum zur Trasse lief und förmlich erschlagen wurde von einem Zaun, der sich plötzlich zwischen Trasse und dem dahinter liegenden Gelände erstreckte. Ein Gelände, auf dem ich wenige Tage vorher noch entspannt ein Getränk getrunken hatte. Utopiastadt und schließlich die Trasse hatten den Ort so belebt, dass die Flächeneignerin und frühere Bahntochter Aurelis sich verpflichtet sah, das Industriegelände entsprechend abzusichern.

Und es hat viel Zeit, Mühe und schließlich Geld gekostet, diese Flächen wieder für alle nutzbar zu machen, die aus der Nachbarschaft oder von der Trasse aus ein wenig Freiheit im Freien brauchen. Erst nur etwa 400 Quadratmeter, dann Stückchen für Stückchen etwas mehr drumherum – und schließlich konnten wir die vollen Flächen durch Kredite sichern und sowohl der Nachbarschaft als auch spannenden Projekten wie dem Solar Decathlon Europe, dem Livng Lab NRW und ganz neu dem Escape Center Bergisches Land zur Verfügung stellen. Auch das führt jeweils zu baulichen Veränderungen, die etwas mit dem Ort machen. Aber anders, als der trennende Zaun damals, sind es seither immer Konstruktionen, die direkt, mittel- oder langfristig den Ort für eher mehr als weniger Menschen nutzbar machen.

Und so hat mich nach diesem Zaun-Schock kein präsentes Signal der Veränderung hier mehr beunruhigt. Im Gegenteil. Noch immer ernte ich auf verschiedensten Konferenzen landauf landab ungläubiges bis bewunderndes Staunen, dass wir hier so ein Projekt mit Gebäudesanierungen und Flächenentwicklungen noch immer in der Hauptsache mit ehrenamtlicher, vor allem aber eben mit permanent beteiligungsoffener inhaltlicher Arbeit stemmen. Und dafür möchte an dieser Stelle mal explizit werben: An fast allen Entwicklungen hier vor Ort kannst Du Dich beteiligen. In der Regel nicht über bequeme Info-Veranstaltungen als Dienstleistungsversprechen für Ideen, eher über zahlreiche Planungs-, Orga- und Arbeitstreffen. Aber die ersten Schritte sind sehr einfach und niederschwellig: Jeden Samstag gibt’s den Utopiastadt Workout zum direkten Anpacken, jeden ersten Sonntag eine Führung im Rahmen der Mirker:Matinée für allgemeinere Infos. Alles in allem arbeiten wir hier täglich gemeinsam an einem Ort von Vielen für Viele. Und wenn es gelingt, für den Eigenanteil der Sanierung oder die Tilgung des Flächenkredits genug Spenden auf zu sammeln, kriegen wir das auch hin. »Wir treffen uns da am Bahnhof!«


Hier könnt Ihr für die Sanierung spenden.


Erstveröffentlicht am 11.07.24 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/logbucheintrag-056-gut-geruestet_aid-116049305

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Logbuch

Hummeln, Rosen und Europa

Foto: Bernd Schreiber

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von Thomas Schmidt:

Logbucheintrag 0.55

Aus grauem, versiegeltem Asphalt ist eine bunte, blühende Fläche geworden. Möglich gemacht haben das einige Ehrenamtliche der Utopiastadt und mehrere Geld- und Sachspender, die das Projekt tatkräftig unterstützten. Und jetzt tummeln sich darauf Hummeln, Bienen und Käfer.

Die Idee, eine von Autos beparkte Asphaltfläche am Aufgang zur Nordbahntrasse einfach umzugestalten, entstand erst Ende Januar. Kurze Zeit später ging es schon an die Arbeit und es hieß: Asphalt raus, gute Erde rein! Ganz so einfach war es tatsächlich zwar nicht, denn es wurden zusätzlich Verbesserungen am Gebäude umgesetzt, so dass die Arbeiten immer wieder aufeinander abgestimmt werden mussten. Aber Ende April konnten dann verschiedene Blumen, Sträucher und ein Baum gepflanzt werden. Die waren regelrecht orchestriert – alles hat einen bestimmten Platz und eine gewisse Symbolik.

So wurden gleich an der Ecke zum Aufgang mehrere Färberkamillen gepflanzt. Sie blühen intensiv gelb, brauchen noch ein, zwei Jahre, aber werden dann richtige Hingucker sein. Darüber hinaus sind sie wichtig für bestimmte Schmetterlingsarten und Wildbienen. Außerdem sind sie eine Reminiszenz an das vergangene Wuppertal, wurden mit ihren Blütenkörben doch früher Stoffe gefärbt. 
Auffällig ist der Lavendel, der in verschiedenen Farbtönen gepflanzt wurde. Westlich des Mirker Bahnhofs befindet sich bereits im Gemeinschaftsgarten der Utopiastadt ein kräftiger Strauch der gleichen Art, der in den vergangenen Jahren stets voller Hummeln war. Auch, wenn es sich dabei meist um die häufig vorkommende Erdhummel handelte, bot der Strauch über mehrere Monate vielen verschiedenen Insekten sehr viel Nektar.

Apropos Hummeln: Sie, viele Wildbienen und die Honigbienen sind schon sehr früh im Jahr unterwegs. Mehrere Weiden in der Umgebung bieten ihnen erste Nahrung. Eine Felsenbirne, deren Früchte dann im Sommer zu Marmelade verarbeitet werden können, blüht kurze Zeit später. Im Jahreslauf folgen Steinsame, Klee, verschiedene Gartenkräuter, Schafgarbe und eine Kletterrose. Die Sorte wurde 1886 in England gezüchtet und erinnert daran, dass der Mirker Bahnhof, 1882 fertigstellt, ursprünglich nach englischem Vorbild größer und inklusive einem Bahnhofshotel gebaut werden sollte. Es kam anders. Die rosa blühende Rose passt trotzdem perfekt zum Backstein der ehemaligen Eilgutabfertigung. Nicht nur England, sondern gleich Europa wurde im hinteren Bereich verewigt. Seit einigen Wochen blühen dort Steinsame in einem kräftigen Blau und daneben gelbe Schafgarbe. Auch wenn es erst in einigen Jahren deutlich wird – die Pflanzen sind dann flächiger – so sollen sie gemeinsam die Flagge Europas symbolisieren und daran erinnern, dass nach zwei von den Deutschen begonnenen Weltkriegen europäische Länder nationale Interessen zurückstellten um gemeinsam Großes zu wagen: Seither leben wir in Kerneuropa in Frieden! 
Blau-gelb sind auch die Farben der Ukraine. Möge auch dort bald für lange Zeit Frieden herrschen.

Jetzt wachst und blüht mal schön!


Erstveröffentlicht am 13.06.24 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/utopiastadt-kolumne-hummeln-rosen-und-europa_aid-114398567

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Logbuch

Hereinspaziert!

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.54

Am Mittwoch war Baustellenbegehung im Hauptgebäude. Zwei Menschen vom staatlichen Rechnungsprüfungsamt waren zu Besuch, haben sich den Stand der Sanierungsarbeiten zeigen lassen, sich über den bisherigen und geplanten Verlauf der Baustelle informiert und sich allgemein das Projekt Utopiastadt näher erklären lassen.

Dabei kam auch die Frage auf, ob die Sanierung nicht wesentlich einfacher liefe, wenn sie nicht im laufenden Betrieb stattfände. Eine Frage, mit der sich gleich auch die prächtige Dialektik des Konjunktivs zeigt: Vielleicht wäre das einfacher. Aber dann wär hier halt auch nichts. 
Denn anders, als bei Gemeinwohleinrichtungen vergleichbarer Größe, steht hinter Utopiastadt weder ein weltlicher noch ein kirchlicher Träger, keine Stiftung oder  stille Mäzenin, die die Stellen finanziert, die sich um den Betrieb – und somit auch um die Baustelle – kümmern. Während Architektur- und Projektsteuerungsleistungen förderfähig und damit zu 80% vom Land NRW finanziert sind, müssen wir die Bauleitung vollständig selber stemmen. Und auch, wenn hier sehr viele Dinge ehrenamtlich erledigt werden, braucht es hier und da dringend bezahlte Vollzeitarbeit. Die wiederum braucht zur Finanzierung den laufenden Betrieb. Darüber wollen wir uns gar nicht beklagen, dass der Prozess mühsam würde, war uns von Anfang an klar, das kriegen wir hier hin.
Was mir aber Mittwoch bewusst wurde: So selbstverständlich, wie wir hier stets diesen laufenden Betrieb mitgedacht und mitgeplant haben, ist das für viele Blicke von außen gar nicht. Die sehen halt ein eingerüstetes Gebäude und bei schönem Wetter eine Trassengastro. Oder eben, wie das Rechnungsprüfungsamt, zunächst nur den Zahlenfluss einer großen Sanierungsbaustelle. Dass aber ganzjährig Gastronomie-, Veranstaltungs- und Coworkingräume zur Verfügung stehen und genutzt werden, überrascht viele. Geburtstage, Konferenzen, Hochzeitsbankette oder Fotoshootings, Freudenfeiern zur Taufe oder Trauerfeiern zur Beerdigung – das ist nur ein Teil der Sachen, für die Menschen den Wartesaal 3. Klasse, die Besprechungsräume im Coworking Space oder auch das Café Hutmacher nutzen (Letzteres, wenn es nicht gerade für den regulären Gastbetrieb geöffnet ist). Auch freuen wir uns, wenn Räume für öffentliche Veranstaltungen gemietet werden, so wie zum Beispiel am Montag vom Kulturbüro für eine Lesung zur Literatur-Biennale.

Was ich eigentlich sagen will: Die Räume sind da! Kommt vorbei, schaut sie Euch an, nutzt sie für das, was Ihr gerne hier veranstalten, feiern, besprechen oder erarbeiten wollt – und unterstützt damit unmittelbar den Betrieb Utopiastadt: https://utopiastadt.eu/vermietung

Ein Betrieb, der auch dafür angetreten ist, Räume für alle zu öffnen: Für die, die eine Miete oder eine sonstige Nutzungsgebühr leisten können genau so wie für die, die das nicht können, aber etwas für das Gemeinwohl ausprobieren, anbieten und umsetzen wollen. Egal, zu welchen der genannten Ihr gehört: Sprecht uns gerne an, wir haben geöffnet. Hereinspaziert!


Erstveröffentlicht am 10.05.24 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/utopiastadt-kolumne-hereinspaziert_aid-112433233

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Wer macht das Licht an?

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.53

Als Finale gab es beim Tag der offenen Tür letzten Sonntag Kurzvorträge über einzelne Projekt in Utopiastadt. Naheliegend, dass es dabei viel ums Renovieren ging — gerade das mit Abstand größte Thema hier. Ralf und Tobias haben in jeweils 20 Bildern à 20 Sekunden erzählt, wie Schritt für Schritt ein prächtiges Tor, ein Türmchengiebel und, besonders relevant, eine Toilette im Bahnhofsnebengebäude restauriert bzw. von Grund auf gebaut wurden. Typisch Utopiastadt: Menschen, die meist im Leben vollkommen andere Dinge tun, treffen sich hier und bringen sich gegenseitig bei, wie man gemeinsam Dinge für andere baut. Stück für Stück.

Etwas anders läuft das bei der Hauptgebäudesanierung, einer millionenschweren Fördermaßnahme. Sicher, auch hier leisten wir tausende Stunden ehrenamtlicher Mitarbeit, reißen Böden raus, lernen gemeinsam Fassadenschmuck und Fenster aufzuarbeiten und werden noch ganz viel verputzen und streichen. Aber das meiste wird von Fachfirmen erledigt. Und um diese in einer Baumaßnahme beauftragen zu können, die durch öffentliche Gelder finanziert wird, müssen die jeweiligen Leistungspakete jedes Mal europaweit ausgeschrieben werden. Und da wird’s oft kompliziert – nicht jede Baufirma hier vor Ort hat Zeit, Lust oder die Ressourcen, sich über das Deutsche Vergabeportal https://dtvp.de auf Ausschreibungen zu bewerben. So passiert es immer wieder, dass auf Ausschreibungen gar keine, oder, weil es an vielen Stellen gerade im Baugewerbe – erfreulicherweise – gut läuft, nur deutlich teurere Angebote eingehen, als in den Fördermitteln vorgesehen ist. So ziehen sich manche Beauftragungen unangenehm zäh in die Länge. Oder sie stehen auf der Stelle. Wie gerade mal wieder bei der Ausschreibung für Elektroarbeiten und die Brandmeldeanlage. Wenn Ihr also ein Unternehmen habt, das Alarmierungsanlagen, Datennetztechnik und Starkstromunterverteilungen bereitstellen und fachgerecht verbauen kann oder wisst, das Tante Rosa und Onkel Sascha, die genau so etwas machen, noch Platz in den Auftragsbüchern haben, bitte meldet Euch bei uns unter sanierung@utopiastadt.eu. Wir bieten Euch ein wirklich spannendes Gebäude und die Gelegenheit, modernste Technik in historisches Fachwerk zu bringen. Außerdem knipst Ihr damit das Licht an für viele viele zukünftige Utopien!

Und wer jetzt denkt »Ach, schade, ich hätte jetzt gerne ein Angebot abgegeben – aber ich bin halt Schlosser.« – kein Problem: Schlossereiarbeiten sind auch gerade ausgeschrieben. Außerdem folgen in den nächsten Tagen die Ausschreibungen für die Metall- und Brandschutztüren sowie für Bodenbeläge. Auch dafür sind uns Eure Meldungen schon jetzt hochwillkommen!

Bisher ist es uns zu unserer großen Freude gelungen, fast nur lokale Firmen zu beauftragen, so dass die vielen Fördergelder für die Sanierung nicht nur helfen, den Mirker Bahnhof für die Stadt wieder herzurichten, sondern auch nachhaltig die regionale Wirtschaft unterstützen. Hoffentlich gelingt das auch weiterhin. Wir freuen uns auf Euch!


Erstveröffentlicht am 11.04.24 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/logbuch-utopiastadt-eintrag-053_aid-110509955

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Logbuch

Bundesfreiwilligendienst in Utopiastadt – eine Homage

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von Pia Rodermond:

Logbucheintrag 0.52

Kopfsteinpflaster und Gewusel zeigen mir den Weg, positive Gefühle, die mein Kopf hegt.
Mit Tee und Kippe stehe ich auf dem Balkon, schaue in die Ferne und sehe den Ballon, wie er seine Runde stets links herum über das Gelände dreht. 
Das Vogelgezwitscher lässt mich durchatmen, keine großen Dramen. 
Fahrräder von Rechts nach Links über die Trasse. Und mittlerweile erkennt man jede:n Zweite:n und muss lachen. 

Der Tag beginnt mit Spannung auf die nächste Herausforderung, wartend auf uns vier Bufdis und die resultierende Entwicklung. 
Schraubenschlüssel und Schlüsselbund parat, so schreiten wir zur Tat: 
Umgeben von Bauzäunen und Steinen, historischen Fenstern und Türen. Kraft, Mut und Geschick sind die Wörter, die uns Führen. 
Neue Dinge lernen und Interessen entwickeln. Wer hätte gedacht, dass grade das Holz mich um den Finger wickelt?  
Erinnerung an einen Tag mit Jürgen, eine Werkzeughalterung gebaut, so stabil, ich würde dafür bürgen. 
Das Gefühl von Stolz ist mein täglicher Begleiter, ich schaue zurück und denke mir »Das habe ich geschafft? Alter!« 
Wände einreißen macht viel mehr Spaß als ich dachte, und auch der Stemmhammer, der es nie in meine Vorstellungen schaffte. 
Niemals dachte ich, dass dieses BFD was für mich wäre, doch nach ein paar Tagen waren es erste Erfolgserlebnisse, die mich ehrten: 
»Mama, ich kann jetzt Elektroschlepper fahr‘n und auf dem Gerüst habe ich keine Angst vor der Gefahr!« 

Ein Teil davon zu sein, dass es hier voran geht und der Gesellschaft was gibt, ein tolles Gefühl, welches niemals kippt. 
‚Bewegung‘ beschreibt Utopiastadt auch ganz gut, nicht nur den Hut. 
Von Ralf kann man immer was lernen, einfach nur fragen und er hilft dir, auch von fern. 
David der Retter in der Not, fährt dich nach Hause, wenn dein Auto plötzlich tot. 
Alle Utopist:innen sind wichtig für das Projekt, keiner von ihnen perfekt.  

Aber so soll es auch sein, perfekt unperfekt nach eigener Definition. Für niemanden hier ist es auf der persönlichen Reise die Endstation.  
Eine Familie die zusammenhält, offen für Neues ist und niemals fällt. Und wenn sie fällt, dann fällt sie zusammen. Steht gemeinsam wieder auf in neuen Flammen. 

Mit Liebe erschaffen, wird es auch nach dem Freiwilligendienst für mich ein Ort zum Ich selbst sein sein, zum rasten. 
In ein paar Jahren schau ich zurück, sehe das Gebäude in vollem Glanz. 
Kein Gerüst und keine Baustelle mehr, kein Gefühl von Distanz. 
Kein Stress und Druck, eine Umgebung zum Wachsen. 
Dieser Ort ist einfach wunderbar, so frei wie der Ballon, den ich am Morgen sah. 

Ich bin und war ein Teil davon.


Erstveröffentlicht am 14.03.24 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/utopiastadt-bundesfreiwillige-pia-rodermond-hat-ein-gedicht-ueber-ihre-erfahrungen-verfasst_aid-109533429

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Wer entscheidet?

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.51

»Stadt bei Kaufhof nur Ideengeber« war gestern die Schlagzeile auf dem WZ-Titelblatt. Im Artikel dazu wird wiederholt angemerkt, dass die Entscheidung, was genau mit dem Kaufhof-Gebäude passiert, bei einem global agierenden Hedgefonds liegt. Nicht auf dem Titel der WZ, aber in §1 des Baugesetzbuches steht: »Die Bauleitpläne sollen eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse der Bevölkerung gewährleisten.« Wow. Da steht ja fast alles drin für nachhaltige und am Gemeinwohl orientierte Bauvorhaben! Warum genau ist also die Stadt beim Kaufhof nur Ideengeber? Nun ja – erst einmal geht es in dem Gesetzestext um die Bauleitplanung, nicht um einzelne Bauvorhaben. Dann ist die Umnutzung des Kaufhofs voraussichtlich maximal eine Umbaumaßnahme. Und dann gibt es viele weitere rechtliche Möglich- und Notwendigkeiten, die Eigentümern die letztendliche Entscheidungshoheit geben.

Nun habe ich begründbare Zweifel, dass ein globaler Hedgefonds besonderes Interesse daran hat, eine »… nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt« am Neumarkt in Wuppertal umzusetzen. Umgekehrt hab ich aber als Bewohner dieser Stadt großes Interesse an genau so einer Entwicklung hier vor Ort. Und bin sehr dankbar, dass vor einem guten Jahrzehnt bei mir gegenüber ein Projekt eingezogen ist, das mir ermöglicht, als interessierter Bürger die Stadt direkt vor meiner Tür im großen Stil mitzugestalten. Nicht in Einzelprojekten, sondern im wahrsten Sinne des Wortes grundsätzlich: In vielen, vielen Jahren aktiver Debatte hat Utopiastadt dafür gesorgt, dass schließlich die gesamten rund 60.000 Quadratmeter am Bahnhof Mirke gemeinnützigen bzw. dem Gemeinwohl verpflichteten Einrichtungen gehören. Auf dem Weg dorthin gab es immer wieder die Momente, wo auch hier Stadt und Gesellschaft maximal Ideengeber im Renditepingpong diverser Investoreninteressen war. Damit haben wir uns aber nie zufrieden gegeben, sondern als Sachwalter für das Gemeinwohl beharrlich mitgeredet. Im Ergebnis wird jetzt tatsächlich jegliche Entwicklung auf diesen Flächen langfristig Erträge fürs Gemeinwohl und nicht für Investorenportfolios hervorbringen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass es für eine Stadt richtiger ist, wenn die, die über inhaltliche Entwicklungen entscheiden, auch direkten Bezug zum Ort haben. Und wenn sie sich mit ihren Entwicklungsvorhaben den Werten stellen, die im §1 BauGB so kompakt aufgeschrieben sind. Das kann eine Stadt mehr oder weniger eindeutig in Bauleitplanungen festschreiben. Dann ist sie vielleicht irgendwann auch internationalen Renditestaubsaugern gegenüber mehr, als nur Ideengeber.


Erstveröffentlicht am 08.02.24 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/utopiastadt-kolumne-wer-entscheidet_aid-106694673

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Logbuch

Wir wachsen über uns hinaus

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von David J. Becher:

Logbucheintrag 0.50

Vergangenes Jahr klingelte in den Sommerferien mein Telefon. Ich saß in einer gemütlichen Dachkammer, blickte in eine verregnete aber  idyllische Landschaft, nahm den Anruf entgegen – und Lana erzählte mir, dass das, was mal als »Gemeinwohl-Stipendium« in Utopiastadt ausgedacht, ausprobiert und ausgezeichnet wurde, nun als »Vereinfachen« bei der Wuppertaler Wirtschaftsförderung weiter wächst. Vor zehn Jahren machte Julian sein Freiwilliges Soziales Jahr in Utopiastadt, betreut hier seither weiter Konzerte und Lesungen – und hat mittlerweile eine eigene Veranstaltungsagentur. Zusammen mit Julian war Johannes für unzählige Veranstaltungen bis hin zum Trassenrave verantwortlich. Ehrenamtlich. Und hat dann eines Tages die Prüfung zum Veranstaltungskaufmann abgelegt – ohne einen Tag klassische Ausbildung oder Berufsschule gemacht zu haben. Das Forum:Mirke wird konsequent von verschiedenen Ehrenamtler:innen aus der Umgebung durchgeführt, ist eine wichtige Stimme in der Quartiersentwicklung geworden und kam einst auf einen Impuls aus Utopiastadt zustande.

Zu einem Jahreswechsel landet man oft bei innerer Einkehr, bei Rückschau und Ausblick – und vielen Fragen: Was war, was wird, was war gut, was nicht, was geht, was kommt? Ging mir auch so, mit all meinem Tun. Bei Utopiastadt war die Antwort einfach: Was war? Baustellen. Was kommt? Baustellen. Und von vielen, oft überraschenden Stellen ein seltsames Beäugen mit der mal geäußerten, mal lautstark verschwiegenen Frage: Was macht Ihr eigentlich überhaupt noch?

Eine Frage, die zumindest mir zunehmend die Stimmung drückt: Denn gerade stemmen wir hier mit gesammelten Kräften wirklich Großes: Wir sanieren unter widrigen Bedingungen ein 140 Jahre altes Bahnhofsgebäude, finanziert durch Städtebaufördermittel, Spenden, Eigenleistung und Kommune; wir bauen zudem nach und nach eine Gemeinschaftswerkstatt ins Nebengebäude, welches wir ebenfalls von Grund auf sanieren (ohne staatliche Mittel, dafür mit sehr hilfreichen Spendengeldern und professioneller Ehrenamts-Unterstützung) – und wir entwickeln die Flächen, die zum Beispiel nach dem Solar Decathlon Europe ganz neue Nutzungsgenehmigungen brauchen.

Alles für sich genommen tolle, perspektivenreiche und hochmotivierende Projekte. Aber eben auch alle gleichzeitig. Da bleibt kaum Energie für das nötige »… und Rede darüber«. Und schon wächst der Eindruck, hier geschähe überhaupt nichts mehr und tröpfelt mit den vielen – durchaus verständlichen – skeptischen Fragen als feuchtkalter Nieselregen durch alle Schutzschichten bis unter die Haut. Das wiederum ist das Gegenteil von motivierend.

Da tut es gut, sich zu erinnern, was hier schon alles hervorgesprossen und über uns hinaus gewachsen ist. Und sich vorzustellen, was erst sprießen wird, wenn die Baustellen hier Schritt für Schritt abgeschlossen sind! Bis dahin spanne ich halt meinen Schirm auf, freue mich über das Gute, das auch ohne den großen Scheinwerfer hier sehr beständig passiert – und bin mir trotz der Zweifler sicher: Ihr hört von uns!


Erstveröffentlicht am 11.01.2024 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/utopiastadt-kolumne-wir-wachsen-ueber-uns-hinaus_aid-104909093

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Logbuch

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser!

Seit März 2021 erscheint in der Reihe »Logbuch Utopiastadt« regelmäßig eine Kolumne aus Utopiastadt im Wuppertaler Lokalteil der Westdeutschen Zeitung. Und hier auf der Seite.

Diese Kolumne ist von David J. Becher:

LOGBUCHEINTRAG 0.49

Förderrichtlinien, Flächennutzungsplan, Spielstättenverordnung, Prüfverfahren – wir haben viele Formen, uns gegenseitig zu kontrollieren. Das ist oft nützlich, meist sinnvoll und gelegentlich sogar hilfreich. Leider ist es in der Praxis fast immer das genaue Gegenteil von Experiment, Spielfreude, Versuch und Fehler, Wandel oder Kreativität. Heute behaupte ich, dass das nicht so sein muss. 
Der Unterschied liegt in der Haltung hinter der Handlung: Kontrolliere ich, weil zwei Augenpaare mehr sehen, als eines, und tu ich dies im ernsthaften Vertrauen, dass die oder der zu Kontrollierende schlicht im Sinne der Sache handelt, ist es vollkommen anders, als wenn ich rein auf formale Richtigkeit oder im schlimmsten Falle gar aus Angst vor Übervorteilung kontrolliere. Umgekehrt ist es ein großer Unterschied, ob ich mich mit einem verantwortlichen Blick für Probleme und Fallstricke des Neuen in ein Experiment stürze, oder ob ich völlig fahrlässig irgendwelchen Fantastereien folge, komme was wolle. Kurz: Ein System zwischen Freiheit und Kontrolle ist meines Erachtens dann richtig justiert, wenn es auf Verantwortung und Vertrauen basiert, nicht auf Leichtsinn und Misstrauen.

Mir scheint, dass wir gesellschaftlich zu oft in die zweite Richtung schlendern. Vermutlich nichtmal vorsätzlich, eher aus Bequemlichkeit, in der wir die Sicherheiten unserer Überflussgesellschaft für gegeben halten. Und dabei scheint mir sogar das Misstrauen noch über den Leichtsinn zu wuchern. So gibt es kaum freudvolle Freiräume – wenn diese nicht engagiert und gemeinschaftlich erarbeitet werden. Utopiastadt ist für mich so ein Ort. Es gibt weitere: B-Side in Münster, kitev in Oberhausen oder #Rosenwerk in Dresden. Der Konglomerat e.V., Betreiber des Rosenwerks, hat 2019 eine sensationelle Konferenz in Dresden veranstaltet, zu der Stadtmacher:innen aus dem ganzen Land zusammenkamen um gemeinsam an nachhaltiger Gemeinwohlentwicklung in den Städten zu arbeiten. Überschrieben war die Konferenz mit dem Begriff ›Zukunftsschutzgebiete‹.

Ein Begriff, der mir seither Leitbild für Stadt- und Gesellschaftsentwicklung ist. Denn ich habe durchaus konkrete Vorstellungen von einer Gesellschaft der vertrauensvollen Gegenseitigkeit. Aber in einer Welt voller selbstbezogener Konkurrenz-Strukturen bin ich auf Orte angewiesen, in denen wir Vertrauen auf Verantwortung ausprobieren können. Zukunftsschutzgebiete.

In diese gehe ich mit größtmöglichem Vertrauen hinein. Und verteidige sie jederzeit mit Leidenschaft gegen eine Kultur der misstrauischen Kontrolle. Nicht um irgendwas zu verbergen, im Gegenteil. Sondern weil ich Mißtrauen für ein gesellschaftliches Grundübel halte, das unweigerlich in destruktive Kontrollsysteme führt. Eine Kultur des Vertrauens hingegen schafft überhaupt erst die Grundlage, gemeinsame Verantwortungsstrukturen erlernen, aufbauen und tragen zu können.

Entsprechend hoffe ich, dass es uns zunehmend gelingt, mehr Vertrauen vor einer Kontrolle zu wagen. Nein, hoffe ich gar nicht. Ich vertraue darauf.


Erstveröffentlicht am 14.12.2023 in der Printausgabe der WZ: https://www.wz.de/nrw/wuppertal/utopiastadt-kolumne-kontrolle-ist-gut-vertrauen-ist-besser_aid-103347311